© Michele Jannuzzi
Dorothea Rigonalli ist 1958 in Thun (BE) geboren. Von klein auf ist sie bei den Pfadfindern aktiv und arbeitet 3 Jahre im World Scout Bureau in Bern. Als jugendliche Pfadfinderin entdeckt sie das Calancatal und verliebt sich in das Tal, zieht nach Cauco, heiratet hier und übernimmt zusammen mit ihrem Mann den Bauernhof der Schwiegereltern. Seit 20 Jahren führt Dorothea den Hof Pelegat, war Stellvertretende Bürgermeisterin von Cauco, in einem Gemeinderat, der aus fünf Frauen besteht, und Mutter von drei Töchtern: Die Älteste, Lucia, arbeitet mit ihr auf dem Bauernhof. Dorothea Rigonalli, dynamisch, innovativ, weltoffen, erzählt von sich.
PARC ADULA. Dorothea, du stammst aus Thun, lebst aber seit vielen Jahren im Calancatal: Was kannst du über diese Umstellung von einem oft hektischen Stadtleben auf einen ruhigeren Lebensrhythmus, der auf andere Weise intensiv ist, erzählen?
DR. Ich bin vor 34 Jahren ins Calancatal gekommen. Ich kann sagen, dass mich die Einheimischen freundlich aufgenommen und akzeptiert haben. Ich denke, das liegt auch daran, dass ich eine von Natur aus sehr tolerante und offene Person bin. So habe ich viel von den Calanchini gelernt, vor allem den Dialekt, der meiner Ansicht nach für die Integration in einem Umfeld wie dem hiesigen entscheidend ist. Ich liebe diese Region, ihre unberührte Natur, und – was man vielleicht gar nicht denken würde – mir gefällt der Gedanke, dass das Calancatal nicht aus der Welt ist. Schliesslich braucht es bis Bellinzona nur knapp über eine halbe Stunde und weniger als eine Stunde bis Lugano. Schon immer bedeutet Zusammenschluss für mich vereinte Kraft. Daher bin ich überzeugt, dass ein Zusammenschluss der Gemeinden nur Vorteile bringen kann. Eines möchte ich aber klarstellen: Ich bin nicht aus der Stadt in die Natur geflüchtet. Ich bin ins Calancatal gezogen, weil ich hier ein kleines Unternehmen aufbauen und etwas zu tun haben wollte.
PA. Daran besteht allerdings kein Zweifel: Du hast dir ausreichend zu tun gegeben! Erzähle uns von deinem Bauernhof.
DR. Ich betreibe seit jetzt 20 Jahren den Bauernhof Pelegat, der mit den Zertifikaten BIO und Natura-Beef ausgezeichnet ist. Mein wichtigster und für den Hof entscheidender Beitrag ist zweifelsohne der Entschluss, auf Mutterkühe zu setzen und damit etwas anderes zu machen, als vor Jahren hier im Tal üblich. Neben Kühen und Kälbern haben wir auch Ziegen, Schweine, Esel, Hühner und Gänse. Schon immer hatte ich den Wunsch, einen vielseitigen „Rundumbetrieb“ zu haben! Unsere Produkte – Frisch- und Trockenfleisch, Ziegenwurst, Ziegenkäse bis zum Ziegenfrischkäse Büscion – verkaufen wir im privaten Direktvertrieb sowohl in den italienischsprachigen Regionen als auch in Zürich, wo eine Zürcher Kooperative unsere Produkte vermarktet. Hier ist die Mund-zu-Mund-Propaganda zweifelsohne unsere beste Werbung.
PA. Du bist eine sehr vielseitige und tatkräftige Frau und wirkst an vielen Projekten mit: Kannst du uns einige davon nennen.
DR. Vor einigen Jahren haben wir mit anderen Bauernhöfen und Alpbetrieben eine Brunch-Reihe initiiert, bei der das Brunch am 1. August im Mittelpunkt steht. Damit haben wir grossen Erfolg, wenn man bedenkt, dass zu jedem Anlass rund 250 Gäste erscheinen. Viele Gäste kehren dann Jahr für Jahr zurück und das macht uns sehr zufrieden, denn das bedeutet ja, das wir unsere Arbeit gut machen. Ausserdem habe ich einen „Brot-Workshop“ ins Leben gerufen. In einer kleinen Backstube stelle ich verschiedenste Brotsorten her, darunter die „Treccia“, den Zopf, den ich in den Sommermonaten, wenn die Touristen ins Tal strömen, in grossen Mengen verkaufe. In der Hochsaison backe ich zuweilen bis zu 25 kg Brot am Tag! Und dann ist da noch die Calatour, ein kleines Catering-Unternehmen, das ich zusammen mit anderen Frauen aus dem Calancatal führe. Auf Bestellung bereiten wir Apéritive und Mittagessen zu, bei denen ausschliesslich lokale Produkte serviert werden. Häufig wagen wir uns an alte Rezepte aus der Region, wie beispielsweise das „ammazzafam“ (oder „maluns“), für das in einer grossen Pfanne Kartoffeln, Maismehl für Polenta und eine beachtliche Menge Butter über ca. 2 Stunden geröstet werden. Es ist ein uraltes Rezept aus einer Zeit, als man hier im Tal noch wenig hatte und man sich mit dem begnügte, was da war. Und nicht zuletzt bin ich für die Logistik der regionalen Produkte zuständig. Unsere Aufgabe ist es, die Spezialitäten unseres Tals in der gesamten Schweiz zu verteilen. Mir gefällt der Gedanke, dass wir uns zusammenschliessen, uns als eine Einheit präsentieren. Derzeit bauen wir gerade unsere Website auf, aber wir sind schon jetzt relativ regelmässig bei verschiedenen Märkten und regionalen Anlässen präsent.
PA. Es scheint, als wären Synergien für dich besonders wichtig.
DR. Absolut. Ich bin ein Mensch, der gerne über den Tellerrand schaut, und wie schon gesagt, glaube ich, dass wir Bauern aus dem Calancatal nur davon profitieren können, wenn wir geeint auftreten. Denn damit beenden wir auch den Mythos, eine geschlossene, abgelegene und unterentwickelte Gemeinschaft zu sein. Das Käsereiprojekt ist dafür ein gutes Beispiel.
PA. Die Käserei, genau, dieses Projekt macht seit Jahren von sich reden. Kannst du darüber erzählen.
DR. Die Idee zu einer Käserei, die in Bodio (Cauco) eröffnet wird, ist aus dem Wunsch geboren, unsere Kräfte zu vereinen, und bietet uns Bauern eine weitere Möglichkeit, uns auch über das Calancatal hinaus bekannt zu machen. Unbestritten wird eine Käserei im Calancatal in der Schweiz grossen Anklang finden. Im Verlauf der Zeit ist die geplante Käserei Teil des umfassenderen regionalen Entwicklungsprojektes geworden, das vom Bundesamt für Landwirtschaft mit Unterstützung der Kantone finanziert wird. Seit 2009 arbeiten wir an dem Projekt, das auch verschiedene Alpbetriebe einschliesst, wie die Alp Caprina in Stalvedro oberhalb von Arvigo, wo ich gerne Agrotourismus – Ferien auf dem Bauernhof – aufbauen würde. Laut Planung müsste der Bau der Käserei in 2015 beginnen. Sobald sie in Betrieb ist, wird hier die Milch aus dem Calancatal verarbeitet, aber nicht nur, denn wir werden in der überregionalen Kooperative auch Bauern aus dem Misox (Valle Mesolcina) aufnehmen. Ich würde neben der Käserei auch gerne eine Lehr- und Schaukäserei einrichten, in der wir die vielen Schulen empfangen können, die unsere Region besuchen, und wo wir Wissen über das Leben der Bauern, das Leben mit der Natur und die Wichtigkeit der Berglandwirtschaft vermitteln können.
PA. Sprechen wir über das Parc-Adula-Projekt: Was kann es deiner Meinung nach dem Calancatal bringen?
DR. Das Parc-Adula-Projekt passt perfekt zu meinem Konzept des Zusammenschlusses. Wenn es angenommen wird, würde es uns mit Sicherheit dabei helfen, uns schweizweit und international einen Namen zu machen. Denn es wäre eine Massnahme, die unsere Region aufwerten kann. Ich persönlich betrachte das Parc-Adula-Projekt als eine Art Schaufenster: Wir können darin die Schönheiten des Calancatals präsentieren, von der Naturlandschaft über die Trockenmauern bis hin zu den Alpweiden. Sollte es realisiert werden, könnte es auch einen grossen Beitrag zur Kooperation und zum Austausch mit den anderen Regionen des Parks leisten, und sinnvolle, bereichernde und zweifellos konstruktive Synergien könnten gebildet werden. Ich selbst hatte bereits anlässlich der Info-Brunches die Gelegenheit, mit dem Parc-Adula-Team zusammenzuarbeiten. Sie werden vom Verein organisiert und sind einerseits zwar gesellige Anlässe, anderseits aber auch eine wichtige Plattform für einen fruchtbaren Meinungsaustausch. Daneben haben wir, ebenfalls in Kooperation mit dem Parc-Adula-Projekt, eine Grillveranstaltung für einen Schulausflug organisiert.
Ich diskutiere häufig mit den Talbewohnern über das Projekt und versuche ihnen stets klarzumachen, dass nicht alles so bleiben muss, wie es ist, unverrückbar bis in alle Ewigkeit. Der Wandel ist der Motor der Entwicklung und des Wachstums. Dabei glaube ich nicht, dass das Parc-Adula-Projekt historische Umwälzungen mit sich bringen wird – vielmehr wird es ein grosser Gewinn sein.
Parc Adula, 30 | 8 | 2014